Frauen und Freimaurerei

Altstuhlmeisterin Inge Wendt

„Freimaurerei ist eine Philosophie mit lebenspraktischem Bezug“

 

Ein Gespräch mit Altstuhlmeisterin Inge Wendt über Freimaurerinnen, Weltanschauung und die Frage, weshalb es in Braunschweig keine Frauenloge gibt.

Freimaurer – Frauen? Anlässlich einer Tagung der Forschungsloge Quatuor Coronati in Hannover traf ich Inge Wendt. Wir plauderten, erzählten aus unseren Logen und unvermittelt fragte sie mich, weshalb es in Braunschweig keine Frauenloge gebe.

Ja, woher sollte ich das denn wissen? Dann gründen wir eben eine Frauenloge in Braunschweig, schlug ich vor. „Würden Sie helfen? Würden Sie beraten? Wären Sie für die interessierten Frauen aus dem Braunschweiger Land Ansprechpartnerin?“, fragte ich Inge Wendt, die seit 2002 der Loge „Im Kreise des Granatapfels“ zu Hannover angehört und inzwischen den respektvollen Titel „Altstuhlmeisterin“ trägt.

Das alles war recht vertraut und nur einmalig in dieser Form möglich, weil kein Corona-Virus uns davon abhielt, Tête-à-Tête zu plaudern. Die vielen Fragen, die ich hatte, fassten Inge Wendt und ich etwas später in einem Interview zusammen, das Sie anschließend zu lesen bekommen. Interessierte Frauen finden darin Argumente, Lebensanschauungen und Adressen. (Sie sind aber auch eingeladen, sich zunächst an unsere Loge „Carl zur gekrönten Säule“ zu wenden, wenn Sie es möchten.)

Und nun viel Freude an einem Gespräch zwischen „Bruder“ und „Schwester“.

Liebe Inge Wendt, seit wann gibt es überhaupt Freimaurerinnen? 

In Deutschland seit 1949. Die Frauen-Großloge von Deutschland gibt es seit 1982. In Europa seit knapp 200 Jahren. Adoptionslogen [es handelt sich um Männerlogen angegliederte, nicht selbständige Logen für weibliche Verwandtschaft ohne rituelle Arbeit und Grade, die sich aber im gesellschaftlichen Leben in den Dienst wohltägiger Zwecke stellten; Anmerkung des Autors] gab es seit Ende des 18.Jhd. Die Frauen- Großloge von Frankreich gibt es seit 75 Jahren.

Wo wurde die erste Bauhütte für Frauen in Deutschland gegründet?

1949 in Berlin.

Wie viele Freimaurerinnen-Logen gibt es in Niedersachsen?

Vier Logen: Hannover: Im Kreise des Granatapfels und iNFiNiTAS, weitere in Logen in Osnabrück und Göttingen. Bundesweit gibt es 30 Logen und 5 Arbeitskreise.

Unterscheiden sich die Frauen- und Männerlogen in ihrer rituellen Arbeit?

Ich denke nicht. Die feministische Freimaurerei hat jedoch ein eigenständiges Ritual. Und nach einem Vortrag/Zeichnung haben die Frauenlogen gemäß der alten Bauhüttentradition die Möglichkeit, die „Mitwirkung am Entwurf“ durchzuführen, das heißt den Entwurf im Respekt vor den Worten der Schwester durch unsere eigenen Gedanken zu erweitern und zu ergänzen.

Unterscheiden sich die Ziele der Frauenlogen von denen der Männerlogen?

Wir gehen von der Überzeugung aus, dass alle Menschen gleich und frei geboren und aufgefordert sind, aktiv an den Bedingungen für ein würdevolles und friedliches Miteinander mitzuwirken. Da die Freimaurerei auf ethischen Grundsätzen basiert, sind auch die Ziele der Freimaurerinnen und Freimaurer gleich.

Gibt es etwas Frauenspezifisches?

Da ich im Arbeitskreis hannoverscher Logen [ein Gremium der Männer- und Frauenlogen in der Stadt Hannover; Anmerkung des Autors] mitarbeite, sind mir Unterschiede nicht aufgefallen.

Was erwartet Frauen in einer Loge?

Die Loge ist der Ort, wo es erlaubt ist, die geistigen Werkzeuge in einer wohlwollenden Atmosphäre zu erproben und zu festigen. Frei von sozialen Zwängen ist es in der Loge möglich, sanktionsfrei und, wie Hannah Arendt sagt, „ohne Geländer“ zu denken, ja, geradezu Freude daran zu haben – an kritisch-konstruktivem Denken, – am Zuhören und am Mitdenken der Gedanken der anderen – am argumentativen Begründen der eigenen Gedanken – am Widerspruch, – am dialektischen Denken – an der Suche nach gemeinsamen Lösungen. Sanktionsfrei heißt: es gibt keine Rede- und Denkverbote, kein vorgegebenes Vokabular. Es gibt nur die Richtschnur der Aufklärung, die sich im Bemühen um größtmögliche Freiheit, Suche nach Wahrheit und gleichzeitigem schwesterlichen Umgang miteinander ausdrückt.

Welche Voraussetzungen müssen die Suchenden mitbringen beziehungsweise erfüllen?

Grundlage für die Mitgliedschaft in einer Loge ist die Selbstverpflichtung, sich aufrichtig und aus freiem Willen und mit vollem Herzen in den Dienst der Humanität zu stellen. Gefordert ist eine Wertschätzung aller Menschen, die zugleich die Ehrfurcht vor dem Anderen mit einschließt und vom Einzelnen verlangt, sich bei allen Handlungen von den Ideen der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit leiten zu lassen.

Gibt es Gästeabende?

In meiner Loge etwa viermal im Jahr.

Wie können sich Frauen sonst noch nähern?

Die meisten Anfragen erhalten wir über das Internet:
www.freimaurerinnen.de (Frauengroßloge von Deutschland) oder
www.freimaurerinnen-hannover.de

Was können Frauenlogen besser als Männerlogen?

Dazu kann ich nichts sagen. Ich glaube, dass hier keine Konkurrenz besteht oder bestehen sollte.

Die Männerlogen suchen ihre Wurzeln beispielsweise in den historischen Bauhütten des Mittelalters, sogar bei den Tempelrittern und finden auch in der Bibel eine Erzählung. Worauf beziehen sich die Frauen?

Auf die alte Tradition der „Lodges“ des Bauhandwerks seit dem 13./14. Jahrhundert, deren Statuten einforderten: Freiheit im Denken, Gleichheit in Kameradschaft, Nächstenliebe, Mitmenschlichkeit, Brüderlichkeit. Auf nichts anderes als auf diese Herzenssache verpflichten auch wir uns als Freimaurerinnen. Es ist eine im weitesten Sinne humanistische Lebenseinstellung (oder sollte es zumindest sein!), die durch die freimaurerische Arbeit zu einer Lebensform werden kann.

Weshalb lohnt es sich Freimaurerin zu werden?

Wie unsere Altgroßmeisterin Sr. Helga Widmann sagt: Freimaurerei ist eine Philosophie mit lebenspraktischem Bezug.
Europaweit sind wir vernetzt durch das CLIMAF (Centre de Liaison internationale de la Maçonnerie Féminine). Dadurch können interessierte Schwestern ausländische Logen besuchen.

Wie und wo können Freimaurerinnen in der Öffentlichkeit arbeiten?

Wir werden zu Vorträgen eingeladen, mit den Logen der Brüder führen wir gemeinsame Veranstaltungen durch.

Treten sie ähnlich auf wie die Frauengruppen der Serviceclubs?

Nein.

Welche Schwerpunkte haben Freimauerinnen in ihrer Arbeit?

Schwestern
– erproben sich in einer kommunikativen Gemeinschaft im Diskurs;
– bemühen sich um Selbstbildung durch den Einsatz der Verstandeskraft und der Vernunft, das heißt durch eine immer wieder neue Aktivierung und Nutzung ihres Reflexionsvermögens;
– schaffen sich einen Ort und die Form der Gemeinschaft von Gleichgesinnten, wo sie sich in gegenseitiger Achtung kommunikativ zum Denken anregen und in der Mitwirkung ihre Kompetenzen erweitern können;
– wollen ihren Willen stärken und Mut entwickeln, von ihren Fähigkeiten zur Beförderung vernünftiger Lebensverhältnisse Gebrauch zu machen, das heißt vom Denken zum Handeln zu kommen und somit die humanistische Lebenseinstellung in der Welt sichtbar werden zu lassen.

Wie weit stecken sie ihre Betätigungsfelder?

Das ist abhängig von den jeweiligen Mitgliedern. Wer in praktischen Bereichen tätig ist, bringt andere Werkzeuge mit als Menschen aus geistes- oder naturwissenschaftlichem Umfeld. Doch genau darin liegt der Reiz jener besonderen Wissenskonstruktion, die in den Logen durch die Unterschiedlichkeit der Beteiligten entsteht. Das ist die Sache, um die es in der Freimaurerei geht, die uns wichtig ist, weil sich daraus Aufgaben und Formen menschlichen Miteinanders ableiten lassen. Sie wird ohne Ansehen der Person, ohne Abwertung von Positionen, aus vielen Blickwinkeln in freier Rede betrachtet.

Stehen Frauenlogen mit Männerlogen in Konkurrenz?

Da sage ich klar nein! Wir achten die Regularität der Brüderlogen, wir aber lieben unsere Freiheit.

Wohin orientieren sich interessierte Frauen am besten, um Kontakt aufzunehmen, beispielsweise, um in der eigenen Stadt oder Region eine Frauenloge zu gründen?

Frauen, die eine eigene Loge gründen wollen, können sich über die Web-Seiten an die einzelnen Logen und bestehenden Arbeitskreise wenden, aber auch direkt an die Frauen-Großloge von Deutschland. Sie können Gästeabende besuchen und dort mit Schwestern Kontakt aufnehmen bezüglich einer möglichen Neugründung.

Welche Lektüre empfehlen Sie suchenden Frauen?

Eigentlich nur das Buch von Philip Militz „nicht von gestern: freimaurer(innen) heute“. Es beinhaltet 10 Porträts zeitgenössischer Freimaurer und einer Freimaurerin. Alles Weitere sollten Interessentinnen in Gesprächen mit Freimaurerinnen bei Gästeabenden erfahren.

Das Gespräch führte Br. Thomas Parr, Carl zur gekrönten Säule